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Jeder kann
Wissenschaft

Intro :

Dr. André Lampe ist Physiker und Biochemiker. Er brennt für die Wissenschaftskommunikation, betreibt sie auf vielen unterschiedlichen Kanälen und möchte, dass wissenschaftliche Themen endlich in der Gesellschaft ankommen. In der Krise sieht er hierfür großes Potenzial, denn mit Corona wurden WissenschaftlerInnen mit ihren Nischenthemen plötzlich populär. An dieser Entwicklung gilt es nun festzuhalten und sie auszubauen.

Selfie :

Als leidenschaftlicher Wissenschafts-
kommunikator ist Dr. André Lampe viel unterwegs – als Moderator, für Experimente-Shows und Live-Mikroskopie.

Interview :

RAUS
AUS DEM
ELFENBEINTURM

Dr. André Lampe moderiert Science Slams, betreibt Science Blogging und produziert die Podcasts „Wirkstoffradio“ (www.wirkstoffradio.de) und „mal ganz grundsätzlich“ (www.mgg.andre-lampe.de), in denen er mit ausgesuchten AkteurInnen über unterschiedlichste wissenschaftliche Themen spricht – immer mit Alltagsbezug, immer „nah dran“. Mit seinem Guerilla-Wissenschaftskommunikationsprojekt „Plötzlich Wissen!“ (www.ploetzlichwissen.de) tourt er mit zwei Kolleginnen durch Bars und Kneipen, um im spontanen direkten Austausch über Meeresforschung zu sprechen.

Als Wissenschaftler und Kommunikator ist Dr. André Lampe davon überzeugt, dass wissenschaftliche Themen jede und jeden erreichen können.

„Ich glaube, dass Laien — und dazu gehören auch WissenschaftlerInnen aus einem anderen Feld — immer offen sind für interessante, spannende Forschung, die von jemandem, der sie aktiv betreibt, erzählt wird.“

AdZ : Herr Lampe, hat die Corona-Krise Wissenschaft und Gesellschaft einander nähergebracht?

AL : Die Corona-Krise hat sicherlich dazu beigetragen, dass Wissenschaftskommunikation einen höheren Stellenwert genießt und dass WissenschaftlerInnen vermehrt und gerne zugehört wird. Die Podcasts der Virologen sind ja ein gutes Beispiel dafür. Da gilt es nun, dranzubleiben, auch, wenn in ein bis zwei Jahren das Corona-Virus vielleicht nicht mehr omnipräsent ist.

AdZ : Wie kann das funktionieren?

AL : Ich sehe hier sowohl die WissenschaftlerInnen als auch die Medien in der Pflicht. WissenschaftlerInnen dürfen sich nicht in ihrem Elfenbeinturm verbarrikadieren und sich nur darauf konzentrieren, dass ihre Veröffentlichungen von vielleicht hundert Gleichgesinnten aus demselben Fach gelesen werden. Jeder, der in irgendeiner Form Wissenschaft betreibt und forscht, sollte sich darum bemühen, stetig einen kleinen Teil seiner Zeit darauf zu verwenden, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Das bedeutet, dass mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen werden muss – am besten transparent, verständlich und schnell. Bestrebungen, die Wissenschaft zu öffnen, Open Science genannt, gibt es bereits seit vielen Jahren. Dazu gehört auch Open Access, also die freie Zugänglichkeit von wissenschaftlichen Artikeln - das Interesse daran ist während der Pandemie stark angestiegen. Aber nicht nur wissenschaftliche Aufsätze, sondern auch gute Wissenschaftskommunikation, über den individuell passenden Kanal, sollte von WissenschaftlerInnen betrieben werden: auf einer Live-Bühne, im eigenen Blog, auf Social Media oder YouTube – um nur einige zu nennen. In den Massenmedien sollten zudem neue wissenschaftliche Formate, wie etwa der Podcast mit Dr. Drosten während der Corona-Pandemie, weiter ausprobiert und ausgebaut werden.

AdZ : Podcasts mit Virologen sind ein gutes Beispiel für Kommunikationsmöglichkeiten für die Wissenschaft, die während der Krise an Popularität gewonnen haben. Welche weiteren haben sich ergeben, die von Bestand bleiben sollten?

AL : Ganz generell halte ich das Online-Streaming für ein sehr nützliches Werkzeug, das nach der Krise parallel zum realen Erlebnis existent sein sollte, auch wenn es als zusätzlicher Kanal mit einem Mehraufwand verbunden ist. Sicherlich werden auch nicht alle Formate Bestand haben. Wir sehen ja aber heute schon, dass noch einmal ganz neu darüber nachgedacht wird, wie sich über Online-Tools ausgetauscht werden kann – sei es in der Schule, an Universitäten, im Kunst- oder eben auch Wissenschaftsbereich.

AdZ : Schule ist ein gutes Stichwort. Die Sensibilisierung und Begeisterung für wissenschaftliche Themen beginnt ja bereits in jungen Jahren. Könnte man Wissenschaftskommunikation also auch als „außerschulischen Lernort“ nutzen und hat sich hier durch die Corona-Krise etwas ins Positive verändert?

AL : Die Corona-Krise war im Bereich der Schule ein richtiger Paukenschlag. Wir haben gesehen, dass es an digitalem Verständnis und dem Nutzen von Online-Formaten stark hapert. Dazu gehört auch der Ausbau eines flächendeckenden schnellen Internets. Wissenschaftskommunikation, insbesondere über Online-Tools, ist jedoch eine gute Möglichkeit, um schnell und einfach in direkten Kontakt mit WissenschaftlerInnen zu kommen. Es gibt heute schon Live-Streams der Polarmeer-Expeditionen oder das Programm des BmBF, über das WissenschaftlerInnen gebucht und mit ihnen gemeinsam eine Schulstunde gestaltet werden kann. Dieses Angebot ist nur leider kaum bekannt und deshalb nehmen es bisher nur wenige Schulen wahr. Es muss daher vor allem ein Umdenken im Schulsystem stattfinden. LehrerInnen müssen darauf vorbereitet werden, Online-Tools aktiv einzusetzen, sie einzuplanen und den Unterricht entsprechend zu gestalten. Von Seiten der Wissenschaft mangelt es nicht an Bereitschaft, im Gegenteil: Wir haben große Lust, junge Menschen für Wissenschaft zu begeistern.

AdZ : Wann würden Sie von gelungener Wissenschaftskommunikation sprechen?

AL : Gelungene Wissenschaftskommunikation ist, wenn ein Mensch von einem wissenschaftlichen Thema berührt wird, und deshalb anfängt, sich damit weiter zu beschäftigen und wissenschaftlich zu denken. Sobald nur eine einzige Person davon beeinflusst wird, ein Kind sich beispielsweise ein Mikroskop wünscht, dadurch neues Wissen erlangt und wissenschaftsbasierte Entscheidungen trifft, ist das großartig. Man darf die Wissenschaftskommunikation daher nicht unter der Lupe der Medienlogik betrachten. Hier zählt Qualität vor Quantität.

AdZ : Was sind die Ergebnisse der Krise für Sie persönlich?

AL : Es war und ist immer noch eine sehr spannende Zeit. Es ändert sich fortwährend etwas in meinem Denken, ich schaffe neue Konzepte und setze neue Formate um: „Plötzlich Wissen!“ beispielsweise, wo meine Kolleginnen und ich in Bars gehen und mit einfachen Experimenten und einer Handpuppe versuchen, den Menschen Wissen über Meere und Ozeane zu vermitteln. Während der Pandemie ist an eine solche Guerilla-Wissenschaftskommunikation ja aber wirklich nicht zu denken. Also haben wir’s nun ganz aktuell in ein Online-Format gegossen. Dass wir für „Plötzlich Wissen!“ jüngst eine Förderung der Robert-Bosch-Stiftung erhalten haben, freut uns vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Veränderungen natürlich ganz besonders. Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir weitermachen können. Nur eben anders.

Steckbrief :

wer :
Dr. rer. nat. André Lampe

was :
Moderator und Wissenschaftskommunikator, Blogger und Produzent der Podcasts „Wirkstoffradio“ und „mal ganz grundsätzlich“, sowie Mit-Gründer des Guerilla-Wissenschaftskommunikationsprojektes „Plötzlich Wissen!

Mission :
Begeisterung für Wissenschaft wecken, andere zu guter Wissenschaftskommunikation befähigen und Bildungschancen ausbauen

Wissenschaftliche Interessen :
Science Hacking, Wissenschaftskommunikation, Open Science, OER, Science Blogging, Mikroskopie, Licht und Laser, Nachhaltigkeit, Medienbildung und -pädagogik

Sonstiges :
André Lampe ist Dozent an der FU Berlin, er moderierte die Sendung „TM Wissen“ bei ServusTV, organisiert und coacht WissenschaftlerInnen für Science Slams und andere Veranstaltungen und berät und konzipiert Wissenschaftskommunikations-Formate.

Science Slam :

Eigentlich findet das jährliche Treffen der Alexander von Humboldt-Stiftung mit bis zu 1.000 internationalen TeilnehmerInnen aus verschiedensten Wissenschaftsbereichen im Garten des Berliner Schloss Bellevue statt. Dort bietet sich Gelegenheit zum Gedanken- und Ideenaustausch. Aufgrund der Corona-Krise wurde die Jahrestagung 2020 zum ersten Mal virtuell realisiert. Dr. André Lampe moderierte in diesem Zusammenhang live einen Online Science Slam.

Im Rahmen des virtuellen Annual Meetings der Humboldt-Stiftung moderierte André Lampe am 24. Juni 2020 den Humboldt Science Slam. Hier gibt er uns einen kleinen Einblick hinter die Kulissen.

Dr. André Lampe auf dem Weg zum ersten virtuellen Humboldt Annual Meeting.

Kurz vorm Live-Stream: Dr. André Lampe auf seinem Science-Slam-Sessel in den Räumen der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn-Bad Godesberg.

Der Humboldt Science Slam wurde aufgezeichnet :

Plötzlich Wissen! :

Normalerweise geht Dr. André Lampe mit seinen Kolleginnen Inga Marie Ramcke und Dr. Julia Schnetzer für ihr gemeinsames Guerilla-Wissenschaftskommunikationsformat „Plötzlich Wissen!“ in Bars und Kneipen, um dort spontan Menschen zu einem wissenschaftlichen Gespräch über Meere und Ozeane einzuladen. Inga Marie Ramcke arbeitet in der Umweltbildung und promoviert über Lernen bei Grundschulkindern. Dr. Julia Schnetzer ist Mikrobiologin.

Damit jeder — auch Bildungseinrichtungen — von diesem Projekt profitieren können, veröffentlichen die drei WissenschaftlerInnen das gesammelte Material als Open Educational Resource auf der „Plötzlich Wissen!“ Website und machen auf diese Weise Themen der aktuellen Forschung an Meeren und Ozeanen sowie bereits lang bekannte Effekte und Fakten auf unterhaltsame Weise nutzbar.

Während der Corona-Krise überlegten sie sich eine Alternative, um ihr Format trotz geschlossener Bars und Kneipen verfügbar zu machen. Entstanden ist ein Online-Stream mit Gaming-Angeboten bei Twitch TV, der ab Anfang August 2020 an den Start geht und von der Robert-Bosch-Stiftung finanziell unterstützt wird.

Inspiration :

Tja, was hat mich durch die Krise getragen?

Hund

Definitiv mein Hund, das Gassi gehen war während der Ausgangsbeschränkungen sehr wichtig für mich, um auf andere Gedanken zu kommen…

Serien und Bücher

…aber auch einiges an Serien und Büchern. Serien waren „Tales from the Loop“ - langsam und großartig erzählte Geschichten; dann „Doom Patrol“ aus dem DC Universum. Bücher: Ich habe noch einmal The Martian von Andy Wier gelesen und den Nachfolger Artemes - wenn denn Zeit war, denn ich habe recht viel gearbeitet.

Linksammlung :

Plötzlich Wissen!
Für dieses Guerilla-Wissenschaftskommunikationsprojekt tourt Dr. André Lampe mit zwei Kolleginnen aus der Wissenschaft durch Bars und Kneipen, um im spontanen direkten Austausch über Meeresforschung zu sprechen. Im Zuge der Corona-Pandemie haben die drei ihr Format als Online-Stream bei Twitch.tv zugänglich gemacht.

mal ganz grundsätzlich
ist eine Reihe von Gesprächen, Live-Shows und ein Podcast zu wissenschaftlichen Themen mit Alltagsbezug, wie etwa Pflege. Dr. André Lampe trifft sich hierfür mit ExpertInnen für einen Live-Talk in einer Kneipe, um über ein bestimmtes Thema zu sprechen, zu dem das Publikum Fragen stellen und sich einbringen kann. Im Anschluss wird das Gespräch separat aufgezeichnet und als Podcast veröffentlicht.

Wirkstoffradio
Ein Podcast von Dr. André Lampe und seinem Kollegen Dr. Bernd Rupp, in dem regelmäßig über das Feld der Wirkstoffe und Wirkstoffforschung berichtet wird, um dafür Interesse zu wecken. Eine Folge behandelt das Thema Corona, die Darstellung des Virus in den Medien und den Begriff der Basisreproduktionszahl R0.

Die kleinen Dinge
Science Blog über Mikroskopie, kleine Dinge, die mit Licht zu tun haben und alles andere, wovon Dr. André Lampe selbst meint, einen „Plan zu haben.“

www.andre-lampe.de
Auf der Website von Dr. André Lampe findet man Informationen zur Person und zu allen aktuellen Projekten des Wissenschaftskommunikators.

Idee und Konzept: Yvonne Bauer für Herburg Weiland
Redaktion: Katharina Neumann für Bureau N
Alle Fotos und Filme: © André Lampe, Filmclip im Header © Plötzlich Wissen!, Portrait Steckbrief © AFBMC (All Facebook Marketing Conference 2018), Zeichnung Roland Brückner